Carl Feldtmann aus Verden – der Mann, der Amerika den Hotdog brachte
Wenn man heute an Coney Island denkt, an flirrende Strandtage, das Klappern der Achterbahnen und den Duft von gegrillten Würstchen, dann gehört ein Name ganz an den Anfang dieser Geschichte: Charles Feltman. Doch der hieß ursprünglich Carl Rudolph Gustav Feldmann, kam nicht aus Brooklyn – sondern aus Verden an der Aller.
Ein Sohn aus gutem Hause
Carl Feldtmann wurde am 8. November 1841 geboren. Sein Vater war Johann Heinrich Peter Feldtmann, ein Woll- und Baumwollfabrikant, der sich 1840 das Bürgerrecht in Verden erkauft hatte. Der Betrieb lag am Holzmarkt, außerhalb der Stadtmauern, aber mit Blick auf ein wachsendes Geschäft. Carls Mutter, Elise Charlotte, geborene Mahncke, entstammte einer alten Verdener Wirtsfamilie. Ihr Vater betrieb eine Schenke an der Ecke Ostertorstraße/Zollstraße – das Gebäude steht bis heute.

Mosterei Finkenburg
Die Familie galt als bürgerlich und fleißig. Man lebte solide, bildete Kinder aus, wählte Paten mit Bedacht. Als Carl geboren wurde, ließ der Vater eine Geburtsanzeige im Verdener Wochenblatt drucken – ein seltener Luxus, den sich nur gutgestellte Familien leisten konnten.
Carl war das zweite Kind. Ein älterer Bruder war kurz nach der Geburt gestorben. Nach Carl folgten fünf Schwestern und ein weiterer Bruder. Das Leben in der Familie war sicher nicht immer leicht, aber strukturiert. Carl wurde im Dom getauft, später in der Johannisgemeinde konfirmiert. Um 1856 – kurz nach der Konfirmation – starb seine Mutter mit nur 43 Jahren. Carl war 15 Jahre alt. Nur wenige Monate später verließ er Verden.
Allein nach Amerika – ohne Geld, ohne Plan B
Er ging heimlich, ohne Erlaubnis, gegen den Willen seines Vaters. Warum?
Vielleicht war es die Trauer. Vielleicht der Wunsch, dem familiären Korsett zu entkommen. Vielleicht auch der wirtschaftliche Druck: Als zweitältester Sohn hatte er vermutlich keine Aussicht auf die Betriebsübernahme. Und dann war da dieser Ruf, den viele junge Männer hörten: Amerika. Die Neue Welt. Die Hoffnung.
Carl reiste ohne Pass, ohne Fahrkarte. Er heuerte als Kabinenjunge auf dem Segelschiff „Auguste“ an – in Bremerhaven oder Hamburg. Seine Arbeit an Bord bezahlte die Überfahrt. Es war eine riskante Reise: Monate auf See, enge Kojen, schlechte Versorgung. Doch am Ende landete er in New York City. Allein, hungrig – aber frei.
Vom Backstubenknecht zum Einbürgerungsbürger
Die ersten Jahre in Amerika waren hart. Carl nahm jede Arbeit an: Er arbeitete auf einem Bauernhof mit Laden (von 4 Uhr morgens bis 22 Uhr abends), fuhr Brotwaren aus, lernte nachts das Backen, verletzte sich, fiel aus, kämpfte sich zurück.
Um 1862 begann er eine richtige Bäckerlehre. Zwei Jahre später – 1864 – hatte er genug gespart, um sich in Brooklyn mit einer kleinen Bäckerei selbstständig zu machen. Im selben Jahr ließ er sich einbürgern und nannte sich von da an:
Charles Feltman.
Er belieferte Konditoreien, Cafés – und ein kleines Seebad in der Nähe namens Coney Island.

Originalfoto von Charles Feltman
(Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei)

Rekonstruiertes Porträt von Carl Feldmann
KI-generiert auf Basis des Originals, bearbeitet von J.Atherton (2025)
1867: Der heiße Hund wird geboren
Coney Island war damals noch ein eher karger Ort mit Sommergästen und Spaziergängern. Feltman erkannte: Die Menschen wollten etwas Warmes essen, aber nichts Aufwendiges. Und niemand wollte im Sand mit Besteck hantieren.
Also kombinierte er, was er kannte: ein Frankfurter Würstchen – wie er sie aus Deutschland kannte – und ein längliches Brötchen, das man in der Hand halten konnte. Die Idee: Ein Snack für unterwegs, schnell gemacht, sauber, ohne Besteck.
Das war 1867. Feltman war 25. Und der Hotdog war geboren.
Vom Würstchenstand zum Weltrestaurant
Was als kleiner Handwagen begann, wurde binnen weniger Jahre ein Imperium. 1871 eröffnete er an der Surf Avenue einen festen Stand. Daraus wurde Feltman’s Ocean Pavilion. Später kamen ein Ballsaal, ein Hotel, eine Achterbahn, ein Biergarten, ein Tiroler Dorf und ein Kino hinzu.
In seinen besten Jahren konnte Feltman bis zu 40.000 Hotdogs am Tag verkaufen. Sein Pavillon war ein Gastronomiebetrieb der Superlative – 20.000 Plätze, elektrische Beleuchtung, Hochbetrieb in den Sommermonaten.
Feltman servierte aber nicht nur Hotdogs. Er erfand das „Shore Dinner“: ein Menü aus Hummer, Muscheln, Austern und Salat, serviert in edlem Rahmen – für das städtische Abendpublikum.
Coney Island entwickelte sich zum Inbegriff von Freizeitkultur – und Feltman war mittendrin.
Familienmensch mit Unternehmergeist
Charles Feltman war mehr als ein Geschäftsmann. Er heiratete Johanna Köster, eine Einwanderin aus dem Raum Bremerhaven. Sie hatten vier Kinder, darunter die Tochter Minnie und die Söhne Charles Louis und Alfred. Die Familie lebte in Brooklyn – in einem Haus, das Feltman in einem damals noch unerschlossenen Viertel baute. Es war Weitblick pur.
Feltman engagierte sich in der evangelischen Gemeinde, unterstützte Künstler, holte ein Karussell aus Deutschland, ließ Tiroler Jodler auftreten, reiste regelmäßig zurück nach Europa.
Und er war großzügig. „Einmal ein Freund, immer ein Freund“, soll er gesagt haben. Wer ihm die Treue hielt, wurde nie vergessen.
Tod in Deutschland – Nachleben in New York
1910 reiste der 68-Jährige zur Behandlung eines Blasenleidens nach Kassel. Die Operation misslang. Charles Feltman starb im September desselben Jahres und wurde später in Brooklyn beigesetzt – auf dem Green-Wood-Friedhof, im Familienmausoleum.
Seine Frau Johanna starb zehn Jahre später. Die Familie führte das Geschäft weiter – bis 1946.
Nathan kam aus seiner Küche
Doch bereits 1916 öffnete nur wenige Schritte entfernt ein neuer Hotdog-Stand:
Nathan’s Famous – gegründet von Nathan Handwerker, einem ehemaligen Brotschneider aus Feltmans Betrieb.
Nathan setzte auf billigere Preise, reduzierte Angebot, mehr Tempo. Die Ära Feltman ging langsam zu Ende.
Das Vermächtnis: Würstchen, Weltstadt, Verden
Heute erinnert in Verden kaum etwas an Carl Feldmann – außer einer historischen Geburtsanzeige und ein paar handschriftlichen Vermerken in Kirchenbüchern.
Aber er war da. Und er war einer von uns.
Der Junge, der mit 15 auszog, sich durchbiss, und Amerika das Essen auf die Hand brachte.
Ein Erfinder ohne Patent, ein Pionier mit Geschmack.
Der Vater des Hotdogs – aus Verden statt aus der Bronx.
Quellen und weiterführende Informationen
- 🔍 Deutschland:
- Verdener Kirchenbücher (Dom- & Johannisgemeinde), öffentlich einsehbar
- Geburtsanzeige aus dem Verdener Wochenblatt, 13.11.1841 (über verdener-familienforscher.de)
- 🇺🇸 USA:
- Einbürgerungsregister Brooklyn, 1864 (Ancestry.com)
- U.S. Census 1880 & 1900 – Familie Feltman in Brooklyn (familysearch.org)
- „Who Really Invented the Hot Dog?“ – Smithsonian Magazine, 2016
- „Coney Island: Lost and Found“ von Charles Denson (Buch, 2002)
- Green-Wood Cemetery Database (Begräbnisort Charles Feltman)
Hinweis: Alle Quellen wurden über öffentlich zugängliche Online-Datenbanken oder digitale Archivplattformen recherchiert. Keine direkte Zusammenarbeit mit Stadtarchiven.