Wenn im Juni die Holunderbüsche blühen, beginnt eine besondere Zeit. Die duftenden weißen Dolden stehen nicht nur für den Frühsommer – sie tragen auch uraltes Wissen in sich. Früher stand fast an jedem Bauernhaus ein Holunderstrauch, meist in der Nähe der Tür oder am Stall. Nicht aus Zufall: Der Holunder galt als schützender Hausbaum, als Schwelle zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Gesundheit und Krankheit, zwischen Winter und Sommer. Und seine Blüten – sie wurden gesammelt, eingelegt, aufbewahrt – nicht nur als Nahrung, sondern als Medizin.
Der Holunder als Tor
In alten Sagen ist der Holunder mehr als nur ein Busch. Er galt als „Baum der Frau Holle“ – jener Gestalt, die wir heute aus dem Märchen der Gebrüder Grimm kennen. Doch Frau Holle ist älter als das Märchen. Sie war im Volksglauben eine Hüterin der Schwelle, eine Göttin des Übergangs: vom Winter in den Sommer, vom Tod zum Leben, vom Chaos zur Ordnung. Der Holunder wuchs oft am Rand von Höfen, dort, wo das Leben ins Feld überging. Wer einen Holunder ohne Not fällte, musste mit Krankheit oder Unglück rechnen. Wer ihn ehrte, konnte auf Schutz hoffen.

Mosterei Finkenburg
Was ist Oxymel?
Das Heilelixier aus der Antike hat in der Volksmedizin überlebt: Oxymel – „saurer Honig“ – ist ein Ansatz aus Honig, Essig und Kräutern. Schon Hippokrates empfahl ihn bei Fieber, Husten oder zur Stärkung des Körpers. In der Klostermedizin wurde Oxymel zur „Universalmedizin“, vor allem im Frühjahr und zur Sommersonnenwende. Dann, wenn auch der Holunder blüht.
Holunderblüten-Oxymel selbst ansetzen
Ein altes Rezept, das auch heute noch funktioniert:
- 7 bis 10 Holunderblütendolden, frisch geerntet
- ca. 250 ml naturtrüber Apfelessig
- ca. 250 ml Honig (am besten regionaler Blütenhonig)
- ein großes Schraubglas
Die Dolden werden nicht gewaschen, nur leicht ausgeschüttelt, damit die feinen Pollen erhalten bleiben. Danach füllt man sie in ein Glas und gießt sie mit einer Mischung aus Essig und Honig (Verhältnis 1:1 oder 60:40) auf. Gut verschließen, täglich leicht schütteln. Nach etwa drei Wochen wird das Ganze abgeseiht. Das fertige Oxymel kann man löffelweise pur einnehmen oder in Wasser einrühren – es stärkt, erfrischt und bringt ein Stück Sommer zurück.
Hausmittel mit Geschichte
Der Schwarze Holunder (Sambucus nigra) ist eine der ältesten Heilpflanzen Europas. Seine Blüten enthalten Flavonoide, ätherische Öle, Schleimstoffe. Sie wirken schweißtreibend, schleimlösend, entzündungshemmend. Apfelessig unterstützt die Verdauung, Honig wirkt antibakteriell. Zusammen ergibt das eine Mischung, die seit Jahrhunderten in ländlichen Gegenden verwendet wird – oft still, ohne großes Aufheben, einfach weil es „immer schon so gemacht wurde“.
Eine Pflanze mit Seele
Wer heute Holunderblüten sammelt, kann sich auf ein kleines Ritual einlassen: Geh früh am Tag, bei Sonne, fernab von Straßen. Pflücke achtsam, danke der Pflanze, lass genug Blüten für die Insekten. Der Holunder ist kein Lieferant – er ist ein Teil des alten Naturwissens. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass dieses Wissen gerade jetzt wieder auftaucht.
