Neue Serie beim Överblick:
Musiker:innen aus der Region – mit Haltung, Geschichte und eigenem Sound. Heute: Michael Insinger.
Michael Insinger über Musik, Mut und das Leben auf Achse
Ein Gespräch mit einem, der lieber spielt als plant – über Busker-Alltag, eigene Songs und die Kraft, einfach weiterzumachen.
Michael Insinger – Porträt
Über mich & meinen Weg

Wer ich bin?
Ich bin Michael, komme ursprünglich aus Bückeburg, lebe heute im Landkreis Diepholz – und bin meistens irgendwo in Deutschland unterwegs. Ich spiele Musik. Nicht auf großen Bühnen. Sondern mitten im Leben.
Ich bin kein Fan vom Wort „Straßenmusiker“. In anderen Ländern sagt man Busker – das klingt für mich nach Respekt. Hier in Deutschland klebt da oft das Etikett „Bettelvolk“ dran. Dabei mache ich das nicht, weil ich bettle. Sondern weil es für mich der einzige Weg war, von der Musik zu leben.
Wie kam die Musik zu mir?
Ich glaube, ich war zwölf. Und dann kam im Radio dieses Riff – Hey Joe von Hendrix. Nur ein paar Sekunden. Aber die haben mich voll erwischt. Ich hab mir dann heimlich die Gitarre von meinem Bruder genommen – obwohl ich Linkshänder bin und alles falsch herum lernen musste. Später hatte ich noch einen Unfall beim Schlittschuhlaufen. Seitdem ist meine linke Hand kaputt. Keiner hat’s gemerkt. Ich dachte nur immer: Ich bin wohl zu blöd zum Spielen.
Von Anfang an anders – die Sache mit der Hand
Was viele nicht wissen: Ich hab eine kaputte Hand. Das kam durch einen Unfall beim Schlittschuhlaufen, als ich zwölf war. Da ist mir jemand über die linke Hand gefahren – Sehnen beschädigt, alles offen. Ich konnte zwar noch greifen, aber die Feinmotorik war hin.
Das hat aber keiner so richtig gesehen. Für meine Eltern, Lehrer, Ärzte – alles war „okay“, weil ich noch einen Ball fangen konnte. Aber beim Gitarrespielen hab ich gemerkt: Das ist nicht normal. Ich hab für jeden Akkord ewig gebraucht. Es hat sich nie leicht angefühlt.
Es hat Jahrzehnte gedauert, bis ich das wirklich akzeptieren konnte. Ich dachte immer, das liegt an mir. Heute weiß ich: Ich hab ’ne Einschränkung. Punkt. Und genau deshalb hab ich irgendwann mein eigenes Spielsystem entwickelt – mit Tapping, mit Umwegen. Nicht, weil’s cool aussieht. Weil’s die einzige Möglichkeit war.
Heute sagen die Leute: „Wow, das ist ja total trickreich!“ – und ich denk mir: Nee, das ist Notwehr.
Top-40-Bands? Die waren nix für mich.
Ich war immer nur Trainer. Ich wollte aber Spieler sein. 20 Auftritte im Jahr – davon kannst du nicht leben. Viele spielen in fünf Bands gleichzeitig, aber das blockiert sich gegenseitig. Ich wollte raus. Musik machen. Und so bin ich Busker geworden.
Leben im Bus

Wie kam’s zum Bus?
Der Bus war mein Durchbruch. Davor war ich nur ein Gitarrenlehrer mit Wochenend-Gigs. Erst mit dem Bus hatte ich die Freiheit, einfach loszufahren und zu sagen: Jetzt bin ich Musiker. Ich hab oft versucht, jemanden mitzunehmen. Aber niemand wollte mit. Alle träumen vom Vanlife. Aber keiner entscheidet sich wirklich dafür. Ein typischer Tag? Improvisiert. Ich gucke nicht ins Internet, ich rufe keine Läden an. Ich fahre einfach los. Bauchgefühl. In die Stadt rein, zweimal durchfahren, gucken wo Leute sind, Parkplatz suchen, ausladen. Und dann baue ich auf. Wichtig: Kein Blickkontakt beim Aufbau. Nicht nach links, nicht nach rechts. Immer nur runtergucken. Wenn du jemanden anschaust, kommt garantiert einer, der dich wegmeckern will.
Und Nelke?
Nelke ist mir damals einfach zugelaufen. Ich glaub, sie war sowieso ein Straßenhund. Sie war sofort zuhause in der Stadt. Immer ohne Leine, immer bei mir. Ich sag’s immer so: 60 % meiner Einnahmen hat Nelke verdient, ich vielleicht 40. Vielleicht auch umgekehrt. Heute ist sie 17. Ich kann sie nicht mehr immer dabeihaben. Aber sie ist meine Partnerin auf vier Pfoten – immer gewesen.
Straßenmusik & Auftritte
Was ist so besonders daran?
Straße ist kein Konzert. Da ist keine Bühne. Du musst dir deinen Platz selbst nehmen. Du baust auf, du stehst ebenerdig. Und du weißt nie, was passiert. Die Bühne sagt: Du darfst hier sein. Die Straße sagt: Zeig mal, ob du hier bestehen kannst.
Beispiel Köln.
In Köln gibt’s jetzt fünf Straßenlaternen, unter denen man 30 Minuten spielen darf – ohne Strom. Diese Laternen stehen aber an den unattraktivsten Ecken, neben Mülltonnen, da pinkeln Hunde hin. Keine Gastronomie, keine Menschen, die zuhören wollen. Warum macht man nicht einfach Kleinkunstbühnen mit Qualität? Warum mischt man Musiker mit Bettlern? Ich bin kein Bittsteller. Ich bin Musiker. Und das muss man wieder trennen.
Was spiel ich?
Das, was funktioniert – aber auch das, was ich vertreten kann. Keine Ballermann-Songs mehr. Ich hab’s probiert. Aber das passt nicht zu mir. Heute spiele ich für die Ü40er. Blues Brothers, Doors, Hosen, Ärzte. Und manchmal Element of Crime. Und ganz ehrlich – ich mag das auch.
Was funktioniert wirklich?
Manchmal sind’s gar nicht die Songs. Manchmal sind’s nur ein paar Kids, denen ich ’nen Fünfer gebe, damit sie klatschen und „yeah“ rufen. Und plötzlich bleiben andere stehen. Es ist alles Impro. Aber ein bisschen Theater gehört auch dazu.
Mein Album & Musik auf dem Stick
Das Album? Selbst gemacht. Mit Audacity. Allein. Kein Studio, kein Schnickschnack. Ich bin kein Produzent. Aber ich hab’s gemacht. Und das war wichtig.
Warum USB-Stick statt CD? Weil es ökologischer ist. Weil ich kein Geld für CDs hatte. Und weil man den Stick weiterverwenden kann, wenn einem meine Musik nicht gefällt. Ich hatte auch Texte und Geschichten mit drauf – aus meiner Zeit im Bauwagen. Das war mehr als Musik. Das war mein Leben in Dateien.
Direkter Verkauf statt Streaming? Weil ich nicht auf Klicks hoffe. Weil ich keine Likes brauche. Wenn jemand meine Musik will, kriegt er sie von mir. In die Hand. Nicht über’n Algorithmus.
Texte & Stil
Was ich schreibe? Alles Mögliche. Mal Umwelt, mal Utopien, mal Verhalten, mal Liebe. Ich bin da nicht konsequent. Vielleicht sollte ich’s sein – aber ich bin’s nicht. Ich schreib, wie mir ist.
Mein Stil? Notwehr und Ehrlichkeit. Ich hab durch meine Handbehinderung eine ganz eigene Spielweise entwickelt. Zwei Hände auf dem Griffbrett – manche nennen’s Tapping. Ich nenn’s Überleben. Ich konnte es halt nicht anders.
Wer mich geprägt hat? Jimi Hendrix. Rory Gallagher. Und die Folkies von früher – Degenhardt, Waldecker Festivals, der Protest-Sound. Das war Haltung. Sowas fehlt mir heute oft.

©Jeanette Atherton
Ausblick & Gedanken
Neues Projekt? Vielleicht. Ich will wieder mehr Gitarre. Mehr Rock. Mehr Zerrer. Weniger Hintergrund. Mehr Bühne. Aber ein neues Album? Nur, wenn’s ein Team gibt. Ich kann nicht alles allein. Und will das auch nicht mehr.
Mein Rat an Junge: Fahrt los. Aber entscheidet euch vorher. Und bleibt zwei Monate unterwegs. Alles andere ist Wunschdenken. Es passiert nichts im Kopf. Nur auf der Straße passiert was. Also raus da.
Mein Wunsch? Fokus. Musik braucht Zeit. Kein Wischiwaschi, kein TikTok-Skip, kein Streaming-Nebengeräusch. Ich will, dass man sich wieder hinsetzt, zuhört, sich drauf einlässt. Musik ist keine App. Musik ist Begegnung.
Zum Abschluss
Was bedeutet Musik für mich? Musik ist Medizin. Und manchmal das Einzige, was dich versteht, wenn kein Mensch es tut.
Und Nelke? Ohne sie wäre ich ein anderer. Sie ist mein Herz auf vier Pfoten. Und ich hoffe, dass sie noch ein paar Runden mit mir dreht.
Über den Musiker:
Michael Insinger wurde in Bückeburg geboren und lebt heute im Landkreis Diepholz. Seit vielen Jahren ist er als Busker unterwegs – mit Gitarre, Hund und einem ganz eigenen Blick auf die Welt. Wer ihn live erleben will, muss einfach mal losziehen – oder zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.
🔗 Mehr von Michael Insinger
🌐 Website:
michael-insinger.de
🎵 Spotify:
Michael Insinger auf Spotify hören
🎮 YouTube:
youtube.com/@michaelinsinger
📸 Instagram:
@michaelinsingers
🎤 Live:
Am 15.6.beim Erdbeermarkt in Asendorf
Am 30. August spielt er auf dem Börde Open Air in Bassum.
📍 Tipp:
Du kennst jemanden, der hier vorgestellt werden sollte?
Mail an info@oeverblick.de
© Fotos: Jeanette Atherton