Spannende Einblicke in Verdens Geschichte – von der Steinzeit bis zur Nachkriegs-Kneipenkultur.


Das Museum Domherrenhaus in der Verdener Innenstadt überrascht mit vielen Facetten regionaler Geschichte. Spannende Inszenierungen, kunstvoll gestaltete Schaukästen und das detailreiche Zinnfigurenkabinett entführen die Besuchenden in eine Zeit, als Verden noch schwedische Garnisonsstadt war, als seine Bischöfe in den Machtspielen von Kaisern und Königen mitmischten – und sogar noch weiter zurück in die Steinzeit, als Waldelefanten durch unsere Region streiften und von Neandertalern gejagt wurden.
Sonderausstellung: 150 Jahre Kneipengeschichte
Die aktuelle Sonderausstellung reicht zeitlich nicht ganz so weit zurück. Nachdem im letzten Sommer die Wirtschaftswunderjahre von 1950 bis 1960 im Mittelpunkt standen, lädt das historische Museum nun – in Kooperation mit dem Dokumentationszentrum Verden im 20. Jahrhundert e.V. (doz20) – zu einer ungewöhnlichen Kneipentour ein. Sie führt durch 150 Jahre Gastronomiegeschichte, ergänzt um Cafés, Hotels, Restaurants und Tanzlokale. Die Ausstellung „Kollegin kommt gleich – Verdener Gastronomiegeschichte(n)“ dokumentiert und inszeniert diese Zeitreise eindrucksvoll.
Vom Jahrbuch zur Ausstellung
Den Anstoß gab ein Beitrag von Jürgen Siemers im „Jahrbuch für den Landkreis Verden 2018“. Darin lädt er zu einem imaginären Spaziergang durch das Verden des Jahres 1950 ein – vorbei an allen 42 damaligen Gaststätten und Hotels. Entsprechend liegt ein Schwerpunkt der Ausstellung ebenfalls in der Nachkriegszeit. Zwei großformatige Stadtpläne zeigen sämtliche Gastronomiebetriebe jener Jahre – inklusive der Dorfgasthöfe der umliegenden Ortschaften, jeweils mit historischem Foto.
Auch die NS-Zeit wird beleuchtet, in der viele Gaststätten zur Verbreitung von Propaganda dienten – ebenso die Epoche von 1850 bis 1933 mit einem Blick auf die Lokale der damaligen Arbeiterbewegung. In der Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg spaltete sich die Kneipenlandschaft: Manche Lokale waren bei britischen Soldaten beliebt, andere verwehrten ihnen den Zutritt – aus Sorge vor Konflikten mit einheimischen Kneipengängern. Gleichzeitig waren Gasthäuser, Kneipen, Cafés und Restaurants soziale Treffpunkte – nicht nur für Erwachsene, sondern zunehmend auch für Jugendliche. In den 1950ern passte sich die junge Generation noch dem konservativen Weltbild der Elterngeneration an, in den 1960ern wurde es rebellischer – mit einem Höhepunkt in den 1970ern. Diese Entwicklung spiegelte sich auch in der Kneipenszene wider. Beispielhaft dafür: das legendäre „Whiskey à GoGo“ an der Tempelpforte, das als „Haschisch-Höhle“ verschrien war. Auch die Gründung des Jugendzentrums 1978 wird aufgegriffen – ein von Jugendlichen selbst erkämpfter, nicht kommerzieller Treffpunkt. Die 1980er- und 1990er-Jahre werden mit einem Verweis auf die Diskotheken ZüPalü und Dropstone nur kurz gestreift – mit der Jahrtausendwende endet die Zeitreise.
Geschirr, Getränke und historische Kulissen
Zahlreiche Exponate – darunter alte Getränkekarten, typisches Geschirr und historische Einrichtungsgegenstände – begleiten die Ausstellung. Zwischen deckenhohen Plakatwänden mit Innenaufnahmen historischer Verdener Gaststätten und stilecht arrangierten Sitzplätzen lässt sich die Zeitreise fast hautnah erleben – auch wenn in den Gläsern auf den Tischen nur kunstvoll gefaltetes Dekobier aus Servietten schäumt. Für die Herstellung der Plakatwände wurde mit Martin Drichel von der Verdener Werbeagentur „readymade“ zusammengearbeitet, der die zugrunde liegenden Schwarz-Weiß-Fotos nachträglich kolorierte.
Dauerausstellung: Vom Ratskeller zur Steinzeit
Wie ausgelassen es auch in früheren Jahrhunderten in Verden zuging, zeigt die Dauerausstellung im oberen Stockwerk. Ein großformatiges Wandgemälde fängt das Leben im ehemaligen Verdener Ratskeller ein. Noch bis 1875 wurden große Teile des Keller- und Erdgeschosses des alten Rathauses als Schankwirtschaft genutzt – mit entsprechend fröhlichem Treiben nach den Ratssitzungen, wie das Bild eindrucksvoll zeigt.
Ein Exponat, auf das das Museum besonders stolz ist, stammt hingegen aus der Zeit, in der das Essen nicht serviert, sondern stets selbst erlegt wurde. In der Steinzeitausstellung im Anbau ist der als „Lanze von Lehringen“ bekannt gewordene Eibenholzspieß ausgestellt, der 1948 bei einer Ausgrabung im Skelett eines Waldelefanten entdeckt wurde und als eine der ältesten Steinzeitwaffen der Welt gilt.
Führungen durch die Ausstellung finden statt am 10.7. und 3.8. (siehe www.domherrenhaus.de). Adresse: Untere Str. 13, Verden.
Öffnungszeiten
Di.-Fr. 10-13 Uhr und 15-17 Uhr
Sa. und So.: 11-17 Uhr. (uc)

Lebensgroße Poster laden dazu ein, in vergangenen Zeiten Platz zu nehmen.



